Ein Flatlay mit Büchern, Kopfhörern und Tablet.

Wie erreichen wir gering literarisierte Menschen?

12,1 % der 18- bis 64-jährigen Deutsch sprechenden Erwachsenen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben. Das entspricht 6,2 Mio. Menschen. Wie kann der Buchhandel sie erreichen?

21. September 2022 Lesedauer 4 min 1

Was sind gering literarisierte Erwachsene?

Gering literarisierte Erwachsene, früher auch „funktionale Analphabeten“ genannt, haben Lese- und Schreibschwierigkeiten. Man spricht in der Forschung von Alpha-Leveln: Im Gegensatz zu Alpha 1 (Kompetenz auf Buchstabenebene) und Alpha 2 (Kompetenz auf Wortebene) hat die Gruppe Alpha 3 Kompetenzen auf der Satzebene. Die Personen sind in der Lage einzelne Sätze zu lesen und zu schreiben, haben aber Schwierigkeiten mit zusammenhängenden, auch kurzen Texten.

78 % der Zielgruppe haben einen Schulabschluss, 41% einen Haupt- oder Förderschulabschluss, 19 % einen mittleren Abschluss. Die Lesekompetenzen, die sie in der Schule und  Berufsausbildung erlangt haben, werden dann im Alltag nicht fortgesetzt, sie greifen also nicht täglich zu einem Buch oder besuchen Buchhandlungen. 62 % von ihnen gehen einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach. 38% von ihnen haben Kinder und leben in einer Familie. Häufig stellt die Geburt der Kinder die Menschen vor neue Herausforderungen und gibt gleichzeitig Motivation, sich intensiver mit der Bewältigung ihrer Schwierigkeiten zu befassen.

Ihre Themeninteressen im Alltag sind sehr vielfältig und reichen von Geschehnissen vor Ort, über Musik, gesunder Lebensweise über medizinische Fragestellungen bis hin zu Alltagstechnologien, wie dem Smartphone. Man erkennt: Ihre Interessen fordern Lesekompetenz (Rezepte, Veranstaltungsflyer, Arztbriefe etc. lesen), um daran teilnehmen zu können.

Die geringen Lesekompetenzen sind für Mitmenschen im Alltag nicht direkt sichtbar.

Das heißt aber nicht, dass gering Literarisierte kein Interesse an Büchern haben, ihren Kindern nicht vorlesen oder ihnen bei Hausaufgaben helfen möchten. 50% der Eltern, die selten oder nie vorlesen sagen, dass sie das gerne mehr machen würden!

Wir haben also eine Zielgruppe vor uns, die im Leben steht, Familie hat und einen Beruf ausübt. Das Lesen bereitet ihnen im Alltag in den verschiedensten Situationen, ob in der Kita, in einer Arztpraxis oder bei Behördengängen Schwierigkeiten und doch sind ihre geringen Lese- und Schreibkompetenzen für Mitmenschen nicht direkt sichtbar.

Zahlen und Fakten zur Zielgruppe können Sie im Vortrag von Lukas Heymann (Stiftung Lesen) sehen, den er beim Libri.Campus live 2022 gehalten hat. Einen guten Einblick in die Zielgruppe des Alpha Levels 3 geben die Personas, die die Stiftung Lesen im Rahmen des REACH- Projekts erarbeitet hat.

Warum ist die Gruppe für den Buchhandel so interessant?

Menschen mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen können an Vielem nicht oder nur erschwert teilnehmen, es gibt Ausgrenzungen in vielerlei Hinsicht. Die demokratische Teilhabe, die auch in den SDGs der UN als Ziel für eine nachhaltige Entwicklung festgehalten ist, ist für diese Personengruppe nicht gewährleistet. Damit ist diese Zielgruppe im Sinne eines gesellschaftlichen Auftrags für den Buchhandel interessant.

Gering Literarisierte können an vielen Themen der Gesellschaft nicht teilhaben.

Und diese 6,2 Millionen Menschen sind auch potenzielle Käufer*innen. Ihnen Anreize zu geben eine Buchhandlung zu betreten, um Geschichten und Informationen zu rezipieren und somit zu Buchkäufer*innen zu werden, macht sie auch als Käufergruppe attraktiv!

Wie können Sie als Buchhandlung diesen Menschen begegnen?

Insbesondere die Menschen, die dem Alphalevel 3 zugeordnet werden, die einzelne Sätze, nicht aber ganze Texte lesen können, können Buchhandlungen erreichen. Sie bringen sowohl die Kompetenz als auch das Interesse für das Buch mit. Das sind immerhin 68 % der 6,2 Mio. Deutsch sprechenden Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können.

Die Forschung und bereits bestehende Projekte zur Lesekompetenzförderung für Erwachsene fanden heraus, dass die Ansprache über bestehende Netzwerke in Nachbarschaften und Hilfsstrukturen besonders effektiv sind, um gering literarisierte Menschen zu erreichen.

Das können beispielsweise Familien- und Schuldnerberatungen, der Mieterschutzbund, Volkshochschulen, Lerncafés, Elternschulen aber auch Alphabetisierungsanbieter sein. Ebenso bieten sich Kitas, (Kinder-) Ärzte und Stadtfeste an, um die Angebote und Services Ihrer Buchhandlungen zu kommunizieren und Hürden abzubauen.

Ein erster Schritt ist dabei auch, die Menschen dort (Erzieher*innen, Berater*innen, etc.) für gering literarisierte Menschen zu sensibilisieren und Angebote und Services der Buchhandlungen vorzustellen.

Erreichen Sie die Menschen dort, wo sie sich aufhalten: Viele kaufen beispielsweise in Discountern ein (Aushänge!), sind bei Social Media aktiv (Beiträge oder Anzeigen schalten!) und lesen Werbeprospekte aufmerksam (Anzeigen oder eigene Streuartikel!).

Möchten Sie das Thema in Ihre Buchhandlung weiterverfolgen, sich mit anderen Buchhandlungen hierzu austauschen und aktiv in einer Arbeitsgruppe mitarbeiten?

Dann nutzen Sie bitte unser Formular, um uns Ihre Kontaktdaten zu übermitteln.

In Ihrer Region gibt es sicherlich Projekte und Aktionen, die sich mit  Alphabetisierung und Leseförderung befassen. Dort Anknüpfungspunkte zu finden, um die Projekte mit Ihrer Expertise zu unterstützen, wird dankbar angenommen.

Natürlich gibt es auch Literatur in einfacher Sprache, die Sie in der Buchhandlung oder bei weiteren Projekten anbieten können. Diese Bücher sind ein wichtiges Instrument, um gering literarisierte Menschen zu unterstützen, die im Lesen eingeschränkt und benachteiligt sind. Die einfache Sprache kann ein guter Einstieg sein, um das Interesse für komplexere Texte zu wecken und Lesefähigkeiten zu verbessern. Auch Comics und Hörbucher können den Menschen dabei helfen, sich intensiver mit dem Buch zu befassen.


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