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Kopieren und Übernehmen ist ausdrücklich erwünscht!

Eine Projektgruppe aus 14 Buchhändler*innen beschäftigt sich mit der „Generation Book“. Martin Eisenmann, Buchhändler, und Roland Große Holtforth, Workshopleiter, geben einen Einblick.

28. Februar 2023 Lesedauer 6 min 0

Gerade hat der erste Workshop der Projektgruppe zum diesjährigen Motto des Libri. Campus live stattgefunden. Was reizt Sie, Herr Eisenmann, als Buchhändler und Teilnehmer und Sie, Herr Große Holtforth, in der Rolle des Workshopleiters an der Beschäftigung mit der jungen Zielgruppe?

Martin Eisenmann (ME): Unsere Buchhandlung hat den Anspruch, Kund*innen ein Leben lang zu begleiten. Besonders im Grundschulalter haben wir eine treue Stammkundschaft, die wir aber leider immer öfter mit Beginn der Pubertät verlieren. Deshalb fand ich es sehr spannend, als ich auf der letzten Buchmesse in Frankfurt das Thema des Libri.Campus 2023 erfahren habe. Die Teilnahme an der Projektgruppe gibt uns nun die Möglichkeit, Konzepte zu finden und auszuprobieren, um diese Kundenlücke zu schließen.

Roland Große Holtforth (RGH): Diese Zielgruppe nimmt aus meiner Sicht eine Schlüsselrolle für die gesamte Branche ein. Im Umgang mit ihr könnte sich entscheiden, inwieweit es uns gelingt, in den „Online-Generationen“ das Buch als Medium sowie den Buchhandel als primären Vertriebsweg präsent zu halten.

 

Die Projektgruppe:

Nach dem Erfolg 2022 gibt es auch 2023 eine Projektgruppe, die im Vorfeld des Libri.Campus live Ideen zum thematischen Schwerpunkt entwickelt und in der Praxis testet. Um die „Generation Book“ greifbarer zu machen, hat Libri in Kooperation mit der Markforschungs-Expertin Jana Lippmann vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels Interviews geführt. 31 Jugendliche und junge Erwachsenen wurden zu ihren Lese- und Kaufgewohnheiten befragt.

Wie lässt sich diese Zielgruppe aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen überhaupt fassen? Was zeichnet diese Buchkäufer aus Ihrer Sicht aus?

RGH: In Vorbereitung auf den ersten Workshops und um die Zielgruppe greifbarer zu machen, haben wir Jugendliche und junge Erwachsene zu ihrem Leseverhalten befragt. Auffällig finde ich, ihre ungeheure Beweglichkeit beim Zugang zu Inhalten. Analog oder digital, neu, gebraucht oder geliehen, Deutsch oder Englisch – sie kennen und kombinieren praktisch alle Vertriebswege, Formate und Preise und navigieren lässig durch eine Medienwelt, die Älteren als Dschungel erscheinen mag. Gleichzeitig gibt es gerade bei denen, die regelmäßig lesen, oft eine große Sympathie für den stationären Buchhandel – was auf eine ausgeprägte Werteorientierung schließen lässt, die häufig auch den Wunsch nach nachhaltigem Shoppen umfasst. Beides zeigt, dass diese Zielgruppe enorm reflektiert ist. Dazu gehört auch: Wirtschaftlichkeit, also Preis und Mehrwert von Inhalten, ist ein wichtiges Thema.

ME: Ich stelle in der Praxis fest: Die Zielgruppe wird in diesem Alter immer weiblicher. Jungs beim Lesen halten? Ich werde es bei meinen eigenen in den kommenden Jahren versuchen. Leider liegt der Fokus bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen aber oft woanders. Wer aber beim Lesen bleibt, das ist mein Eindruck, wird oft zum Vielleser.

Wie gehen Sie in der Projektarbeit vor? Wie nähert sich die Gruppe dem Thema?

ME: Die Projektgruppe bekam zuerst einen spannenden Einblick in die Interviews mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die Libri in Kooperation mit dem Börsenverein geführt und ausgewertet hat.

RGH: Wir haben den Videosequenzen aus den Zielgruppeninterview einige Leitfragen zur Seite gestellt. Schließlich ging es in die Gruppenarbeit und bei dieser unter anderem um die Frage, wie die Buchhandlungen mit konkreten Maßnahmen ihren Umsatz mit der Zielgruppe steigern können.

ME: In drei Gruppen haben wir erste Ideen entwickelt, ausgetauscht und gesammelt. Der schönste Ausspruch an diesem Nachmittag war für mich: „Kopieren und Übernehmen ist in diesem Fall ausdrücklich erwünscht“.

Wie war die Stimmung bei dem ersten Treffen der Projektgruppe?

RGH: Von Anfang an haben wir gemerkt: Hier sind Kolleg*innen am Start, die konkret etwas für sich erreichen möchten. Toll fand ich auch zu hören, welche Erfolge die Buchhändler*innen teilweise schon bei dieser Zielgruppe erzielt haben – und welche sie noch erzielen wollen. „Hier geht noch einiges“, war der allgemeine Tenor.

Gab es etwas, das Sie hinsichtlich der Thematik oder der Ergebnisse besonders überrascht hat?

ME: Besonders überrascht haben mich die vielfältigen Ideen, die in der kurzen Zeit entstanden sind. Für mich gab es bereits erste Erkenntnisse, die mir in meinem Alltag in der Buchhandlung unterbewusst aufgefallen waren, aber nicht greifbar waren. Zum Beispiel die Aussage, dass jungen Erwachsenen ein geschützter Raum wichtig ist – auch und besonders in kleinen Buchhandlungen.

RGH: Mit Blick auf die Zielgruppe hat mich die Selbstverständlichkeit überrascht, mit der ein Großteil der Interviewten Bücher auf Englisch liest – regelmäßig, mitunter sogar ausschließlich. Sie erwarten von Buchhandlungen einfach, dass diese ihnen hier eine gewisse Auswahl bieten. So hat eine relevante Zahl der Befragten angegeben, dass sie sich in einer Buchhandlung immer zuerst die fremdsprachigen Bücher ansehen.

FOTO: PRIVAT – Martin Eisenmann ist seit dem 8.5.2009 Inhaber der neugegründeten Buchhandlung Bücher Pavillon. Als Familienvater liegt ihm die Leselust der jüngeren Bevölkerung am Herzen. Neues auszuprobieren und bestehende Pfade zu verlassen, war schon immer seine Philosophie.
FOTO: SABINE FELBER – Roland Große Holtforth ist Geschäftsführer der PR- und Marketingagentur Literaturtest und Mitglied im Sprecherkreis der IG Digital. Er unterstützt Verlage und Buchhandlungen bei Strategie- und Kreativprozessen.

Wie geht es nun weiter? Was haben Sie sich für den zweiten Workshop vorgenommen?

ME: Jede*r konnte sich für konkrete Ideen eintragen, die bis zum nächsten Treffen im Team abgesprochen und abgestimmt werden sollen. Daraus ergibt sich dann ein Projektziel bis zum Mai – in unserem Fall werden wir uns intensiv mit dem Thema Kommunikation mit der Zielgruppe beschäftigen. Aber nicht nur mit dem „Wie“, sondern auch mit dem „Was“ werden wir uns auseinandersetzen. Dabei ist unser Anspruch, den Zeitaufwand pro Woche möglichst alltagstauglich zu halten. Aber auch sonst haben wir bereits in der kurzen Zeit einige Änderungen im Laden vorgenommen – z. B. Regale getauscht, Sortiment erweitert, Kommunikation in den Sozialen Medien. Es wird eine spannende Zeit, und wir werden den jungen Menschen intensiv zuhören.

Und wie sehen die nächsten Tage bei Ihnen aus, Herr Große Holtforth? Wie bereiten Sie als Workshopleiter das nächste Treffen vor?

RGH: Spannend wird es, wenn wir demnächst erfahren, welche der gemeinsam entwickelten Ideen die einzelnen Buchhandlungen bei sich umsetzen möchten. Wir haben uns da eine Deadline gesetzt. Mit diesem Wissen gehen wir in den zweiten Workshop , in dem aus Ideen umsetzbare Pläne werden sollen. Diese Umsetzungen gehen die Buchhandlungen dann direkt im Anschluss an – jede für sich, aber natürlich begleitet von uns als Projektteam.

Lassen Sie uns noch ein wenig weiter in die Zukunft blicken. Was wird im Mai auf dem Libri.Campus live in Bezug auf die Projektgruppe passieren? Oder vielleicht auch: Was sollte optimalerweise passieren?

ME: Wir Projektbuchhandlungen werden unsere Ergebnisse auf dem Libri.Campus präsentieren und natürlich auch im persönlichen Gespräch gerne von den Erfahrungen berichten. Und dann wünsche ich den Kolleg*innen und mir, dass wir voller Ideen und voller Tatendrang uns die nächste Generation an Buchkäufer*innen wieder in die Buchhandlung holen und dort auch halten.

RGH: Extrem spannend wird sein, von welchen Erfolgen und Erfahrungen aus der Projektarbeit die Buchhandlungen auf dem „Laufsteg“ des Libri.Campus berichten werden. Davon lassen sich dann hoffentlich viele weitere Buchhandlungen inspirieren. Denn die Umsatzpotenziale bei dieser Zielgruppe nutzen zu wollen, erscheint mir betriebswirtschaftlich, aber vor allem strategisch eine extrem gute Idee zu sein.

Vielen Dank für das interessante Gespräch! 


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