Im Italienischen gibt es zwei Wörter für Reue

Michele Piroli hat vor zwei Jahren in Lübeck die Traditionsbuchhandlung „Langenkamp“ übernommen. Eine gute Entscheidung, findet er.

25. Oktober 2023 Lesedauer 9 min 0

Du hast vor zwei Jahren die Buchhandlung Langenkamp in Lübeck übernommen, die bereits seit fast 125 Jahren besteht. Es gab sie also auch schon zur Zeit von Thomas Mann. Was war das für ein Gefühl, so eine Traditionsbuchhandlung zu übernehmen?

Also die Buchhandlung war natürlich nicht immer in diesem Haus, das Haus hier gibt es ja noch nicht so lange – sie war vorher in der Königsstraße. Das heißt, mir war das anfangs auch gar nicht so klar. Ich habe dann von einem Vor-Vor-Vor-Vor-Vor-Besitzer eine Mappe bekommen mit alten Fotos und als ich die angesehen habe, kam da schon ein sehr starkes Gefühl auf, vielleicht auch Demut, sich in so eine Tradition einzureihen. Man denkt da so, wow, es gibt da diese Kontinuität. Aber es ist ein gutes Gefühl. Auch beim Umbau des Ladens hatte ich so das Gefühl, man hat hier vielleicht auch einen Weg in die Zukunft geebnet, den es sonst vielleicht gar nicht gegeben hätte.

Die Geschichte, wie Du zu dieser Buchhandlung gekommen bist, ist eine Geschichte wie aus einem Roman. Du hast erzählt, Du hattest den Aushang „Nachfolger gesucht“ im Schaufenster der Buchhandlung gesehen und Dich daraufhin gemeldet. Aber andere sehen auch so ein Schild, träumen dann von der eigenen Buchhandlung, machen aber nichts aus dem Traum. Also jetzt einmal ganz unromantisch. Wie groß war die Hürde zu sagen: ich mache das wirklich. Wie viele schlaflose Nächte hattest Du, bevor diese Entscheidung fiel?

Also schlaflose Nächte hatte ich keine – das ist nicht mein Style (lacht). Aber es hat tatsächlich doch sehr lange gedauert, bis ich die Entscheidung getroffen habe und in dieser Zeit war es ein ziemliches Auf und Ab. Vom Komm-wir-machen-das bis zum Das-ist-doch-eine-Schnapsidee.  Aber es war auch so eine Zeit, in der ich offen war für Neues. Ich war gerade nach Lübeck gezogen und Vater geworden. Ich habe als Übersetzer gearbeitet und gerade war Corona und da lief das nicht so gut. Aber es gab eben auch viele Hürden – während des ersten Lebensjahrs meiner Tochter habe ich zu Hause gearbeitet und habe dementsprechend viel von ihr mitbekommen. Ich habe mich gefragt: Wenn ich nun räumlich an ein Ladengeschäft gebunden bin und da zehn Stunden stehe, kann ich dann noch der Vater sein, der ich gerne sein möchte? Und dann gab es noch die Hürde, dass der Laden wirklich in die Jahre gekommen war und es viel Fantasie bedurfte, um sich vorzustellen, dass daraus wieder eine schöne Buchhandlung wird. Aber meine Frau ist Illustratorin und Designerin und ich wusste: Sie hat diese Fantasie. Und irgendwann haben wir dann gesagt: Okay komm, wir machen es. Ich finde es ganz schön – im Italienischen gibt es zwei Wörter für Reue – eines für Sachen, die man getan hat und eines für Sachen, die man nicht getan hat. Rimorso und Rimpianto. Rimpianto ist die Reue für das, was man nicht gemacht hat und diese Reue wiegt schwerer. Und das finde ich eben auch.

 

Michele Piroli in seiner Buchhandlung

Wie ging es dann weiter? Wie bewirbt man sich für eine Übernahme? Bist Du in den Laden gegangen und hast Dich vorgestellt oder hast Du eine Bewerbungsmappe abgegeben?

Nee, als Erstes muss man ein Buch kaufen (lacht). Nee klar, so fängt das an. Ich bin in den Laden und habe so ein bisschen geguckt und mir was empfehlen lassen von der Vorbesitzerin und bin dann mit ihr ins Gespräch gekommen und habe mich erkundigt, wie das Ganze laufen soll und wann. Und von da an ging es dann weiter. Ich muss sagen, dass die Vorbesitzerin mir auch sehr geholfen hat und von an Anfang an meiner Seite war.

Es gibt tolle Partner, die einem zur Seite stehen.

Wie ist dann die Entscheidung auf Dich als Nachfolger gefallen? Weißt Du das? Beziehungsweise welche Faktoren hältst Du letzten Endes für entscheidend? Es muss ja menschlich stimmen – schließlich wird ein Lebenswerk übergeben. Aber natürlich müssen auch die „hard facts“ passen –  Expertise im kaufmännischen Bereich, das nötige Startkapital und so weiter.

Also ich habe da mit offenen Karten gespielt. Ich habe gesagt, ich habe keine kaufmännische Ausbildung und ich bin auch kein Buchhändler. Kannst Du Dir vorstellen, dass ich das trotzdem hinkriege? Und sie hat durch unsere Unterhaltungen den Eindruck gehabt: Michele ist menschlich so drauf, der kann das schaffen. Ich hatte auch das große Glück, dass ich keinen Kredit aufnehmen musste. Ich hatte durch eine Erbschaft das nötige Kapital. Ich war da also, das muss ich zugeben, in einer sehr privilegierten Situation.

Wie hast Du Dich dann fortgebildet?

Ich habe einen Kurs bei Libri gemacht – das Gründerseminar fand damals online statt. Bei Claudia Ordelmans und Klaus-W. Bramann. Und das war sehr gut. Also insgesamt, die Rolle, die Libri bei meiner Gründung gespielt hat, war sehr, sehr positiv.

 

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Sie träumen von Ihrer eigenen Buchhandlung oder möchten Ihre erfolgreich übergeben? Libri begleitet Sie.

Das musst Du jetzt natürlich sagen.

Nein, das sage ich immer wieder. Klar hat Libri auch ein Interesse an einem als Geschäftspartner – aber das ging wirklich über das hinaus, was man so erwarten kann. Libri und natürlich meine Kundenbetreuerin Jane von Oesen waren da wirklich sehr engagiert, auf unterschiedlichste Arten Hilfe anzubieten und man hatte da wirklich das Gefühl, man ist nicht allein. Und dann habe ich noch den mehrtägigen Crashkurs Buchhandel am mediacampus Frankfurt gemacht, der einfach auch richtig gut war. Letztlich bekommt man dort in Kürze vermittelt, was man bei einer dreijährigen Ausbildung lernt. Ich habe da erfahren, wie man auf so ein Geschäft guckt und auch sonst viele grundlegende Dinge, die man sonst als Quereinsteiger vielleicht nicht so erfährt. Also für alle, die einen Quereinstieg planen, kann ich sagen – das kann man wirklich machen, weil man viel Hilfe bekommt und es tolle Partner gibt, die einem zur Seite stehen

Jane von Oesen und Michele Piroli

Lass uns einmal über das Erbe sprechen, das man mit so einer Traditionsbuchhandlung auch übernimmt.  Was sind da die Vorteile oder Nachteile gegenüber dem Konzept ganz neu zu starten?

Bei Null anzufangen, hätte einen großen Vorteil bei der Gestaltung des Ladens gehabt. Es ist viel einfacher zu sagen, wir machen alles neu, als wir möchten hier etwas erhalten. Großer Vorteil ist die Stammkundschaft, die ist mir auch größtenteils treu geblieben ist. Das hilft natürlich total und die Freude bei den Leuten zu sehen, dass der Buchladen fortgeführt wird, ist auch sehr schön. Also nicht so: Der Buchladen ist weg – der Ein-Euro-Shop oder Handyreparaturladen ist drin. Also nichts gegen die Leute hinter diesen Läden – aber das ist vielleicht nicht so interessant für eine Innenstadt, auch zum Schaufensterbummeln und es gibt ja schon einige dieser Shops. Was man auch erbt – also in dem Fall war es so – man erbt auch einen Bestand an Büchern.  Und da muss ich sagen, ich kämpfe da noch, diese Bücher nach und nach durch Titel zu ersetzen, die ich eingekauft habe. Denn die kenne ich dann einfach besser.

Gibt es etwas, dass Du gern vorher gewusst hättest? Bei dem Du sagst, das würde ich jetzt anders machen?

Da muss ich mal überlegen. Ich glaube, ich hätte mir von an Anfang an ein besseres System für die anabel-Remittenden angelegt. Man hat ja sechs Monate Zeit, um Titel bei anabel zu remittieren. Und das ist natürlich wichtig, sonst bleibt man auf den Büchern sitzen. Und dann hätte ich auch gern gewusst, was für sehr unterschiedliche Kunden in meinen Laden kommen… (lacht).

Der Besuch einer Buchhandlung sollte ein Erlebnis sein

Der Umgang mit so vielen Kund*innen war wahrscheinlich eher neu für Dich? Du hast vorher als Übersetzer gearbeitet und hattest da natürlich auch mit Kund*innen zu tun, aber ja nicht in diesem Maße, oder?

Jein. Mein Vater war Gastronom und hatte ein großes Restaurant mit Hotel außerhalb von Hamburg und ich habe nach meinem Studium dort auch eine Zeitlang als Juniorchef gearbeitet. Und da hatte ich natürlich auch viel Kontakt zu Menschen und ich habe mir da auch viel von meinem Vater abgeguckt. Mein Vater hatte auch keine Ahnung, als er angefangen hat. Er war kein Koch und auch kein Kellner. Er kam mit siebzehn von Italien nach Deutschland, konnte kein Wort Deutsch und hat sich dann so Step by Step hochgearbeitet. Er wurde dann aber ein sehr erfolgreicher Gastronom, weil er ein toller Gastbegeber war. Und dieses Prinzip habe ich auch für meine Buchhandlung übernommen. Ich finde einfach, der Besuch einer Buchhandlung sollte ein Erlebnis sein: Ob ich da eine Samba-Tanzgruppe in der Ecke stehen habe (lacht) oder Kaffee ausschenke. Und die Gestaltung des Ladens spielt auch eine wichtige Rolle. Wichtig ist aber eben auch der Kontakt, der persönliche Schnack und das habe ich mir von meinem Vater so ein wenig abgeguckt – aber es entspricht auch meinem persönlichen Naturell.

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Das kulturelle Leben der Stadt bereichern und die Tradition der Buchhandlung fortsetzen

Und die Bilanz nach zwei Jahren, wo stehst Du mit der Buchhandlung aktuell und was bringen die nächsten Monate?

Ich habe gleich im ersten Jahr mehr Umsatz gemacht als gedacht und jetzt zieht das Ganze noch einmal mehr an. Also ich habe schon das Gefühl, dass das jetzt die nächsten 20, 30 Jahre hier laufen wird und ich habe auch so einige Ideen auch für größere Projekte, die sind aber noch nicht spruchreif. Ich finde es halt toll, in so einer Stadt wie Lübeck kann man mit so einem Laden Teil des kulturellen Lebens sein. Wenn man Sachen auf die Beine stellt, wird das dankend angenommen – das hat in so einer recht kleinen Großstadt wie Lübeck schon andere Auswirkungen als in einer Metropole – da macht eine kulturelle Veranstaltung mehr oder weniger keinen Unterschied. Hier in Lübeck hat man das Gefühl, man kann noch tolle Sachen auf die Beine stellen und bereichert damit wirklich das Stadtleben. Und ich habe auch schon Veranstaltungen gemacht, die gut ankamen und es kommen auch noch mehr. Außerdem wird nun auch die Straße vor dem Laden, die Beckergrube, komplett umgestaltet. Ein Planungsbüro aus Kopenhagen hat die Pläne dafür entworfen und hier soll ein neues Zentrum der Stadt entstehen. Ich war da auch als Gewerbetreibender ein wenig involviert bei der Ausschreibung und so weiter. Man hat das Gefühl, hier passieren Sachen, hier geht es nicht dauernd nur um Leerstand – man spürt eher so etwas wie Aufbruchsstimmung.

Wenn Du jetzt noch etwas weiter in die Zukunft blickst. Was für einen Wunsch hast Du für Dich und die Buchhandlung Langenkamp?

Da können wir eigentlich wieder zum Anfang zurückgehen, zu den Fragen nach der Tradition. Mein Wunsch ist einfach, diese Tradition fortzuführen und die Buchhandlung in 20 oder 30 Jahren in andere gute Hände zu übergeben und dann zurückgucken zu können und zu sagen, das ist gut gelaufen. Und dann wäre auch der Wunsch, dass dieser Laden weiterhin oder noch mehr zu einer kulturellen Institution in der Stadt wird. Und für mich wünsche ich mir, meine Tochter ist jetzt dreieinhalb und was die Zeit zum Lesen anbelangt, ist das nicht immer leicht, also ich wünsche mir, dass das immer mehr wird. Sie wird älter und braucht einen immer weniger. Und im Endeffekt glaube ich einfach, umso mehr eine Buchhändlerin, ein Buchhändler liest, umso besser kann sie oder er verkaufen.  Also in Zukunft noch mehr Zeit für das Lesen zu haben, das wäre noch ein Wunsch von mir.


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