„Es geht weiter“ – Wie die Buchhandlung am Ahrtor dem Hochwasser trotzt

Wie geht es den von der Flutkatastrophe betroffenen Buchhandlungen? Sibylle Heyn, bei Libri für die Region zuständig, war bei der Buchhändlerin in Ahrweiler und berichtet von ihrem Besuch.

20. August 2021 Lesedauer 3 min 1

„Es geht weiter“, steht auf dem Transparent, das Jessica Bälz und ihr Ehemann Daniel Schäfer für mich hochhalten. Einen Monat nach der Flutkatastrophe eröffnen sie in zwei Räumen im Erdgeschoss ihres Wohnhauses einen Pop-Up-Store. „Wir wollen in all der Zerstörung ein positives Zeichen setzen“, sagt die Buchhändlerin, die in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli ihre beiden Buchhandlungen, die Buchhandlung am Ahrtor in Ahrweiler und die Are-Buchhandlung in Bad Neuenahr verloren hat.

Die vierköpfige Familie selbst hatte Glück im Unglück, denn 20 Meter vor ihrem Privathaus kam das Hochwasser zum Stehen. Die Idee zur Übergangsbuchhandlung in den eigenen Räumen war schnell geboren, nachdem sich auch immer mehr Kunden meldeten und sagten, dass sie ihre bestellten Bücher auch weiterhin haben wollten. Passend dazu kam spontane Unterstützung von der Buchhandlung Reuffel aus Koblenz. Der Geschäftsführer Robert Duchstein hatte sich gleich bei mir am Tag der Flutkatastrophe gemeldet, als wir alle noch versuchten, das Ausmaß zu begreifen und die  möglicherweise betroffenen Buchhandlungen zu erreichen. „Ich würde gerne etwas tun“, meinte er. „Wir sind ja ganz in der Nähe und selbst nicht betroffen.“ So kam der Kontakt mit Jessica Bälz zustande und am 10. August fuhr er den mit Möbeln und Buchhandelsutensilien voll beladenen Reuffel-Sprinter vorm Wohnhaus in Ahrweiler vor.

Der vollbeladene Reuffel-Sprinter wird ausgeladen

Der Nachbar und eine Mitarbeiterin helfen Ausladen – so viel verbirgt sich in dem Wagen. Regale, Tische, Ständer, im Handumdrehen sind die beiden Räume ausstaffiert. Die sechsjährige Tochter hat sich schon den einen hohen Stuhl für die perspektivisch nächste Dichterlesung erobert und wir staunen, wie schnell sich eine Buchhandelsatmosphäre breitmacht. „Da passt vielleicht sogar noch ein Sessel hin“, denkt Jessica Bälz laut über die weitere Einrichtung nach. Hier hat jeder das Bedürfnis, anderen was Gutes zu tun. „Wir haben Strom und Wasser“, sagt sie. Damit sind sie privilegiert. Eine Mitarbeiterin wohnt bei Freunden. Ihre Wohnung ist zwar glücklicherweise unversehrt, aber da der Keller voller Wasser war, gibt es keinen Strom. Der neue Pop-Up-Store bietet jetzt auch die Möglichkeit die drei Mitarbeiter weiter zu beschäftigen und nicht wieder in Kurzarbeit zu schicken. „Wir haben ja durch Corona schon alle zurückstecken müssen. Von daher bin ich froh, dass wir nun ohne Einschränkungen weiterarbeiten können.“

Mittlerweile füllen sich die gespendeten Regale und Tische mit Büchern, die ebenfalls von Verlagen gespendet wurden. Bei der technischen Neuausstattung unterstützt Libri die Buchhandlung, die mit der Libri-Warenwirtschaft arbeitet, und so kann jetzt auch die elektronische Kasse wieder klingeln. Booxpress liefert beim Nachbarn an. Der hat einen regensicheren Ablageplatz. Überhaupt wird zwischenmenschliche Hilfe großgeschrieben. „Wir rödeln alle immer weiter, sagt Jessica Bälz. „Das hilft uns, nicht zu viel über all das nachzudenken, was hier passiert ist.“ Der neue Laden hat sich schon rumgesprochen. Die Telefonnummern sind auf den neuen Anschluss umgeleitet und es melden sich immer mehr Kunden zurück.

Am Schaufenster des alten Ladens in der völlig zerstörten Altstadt von Ahrweiler hängt jetzt das Transparent „Es geht weiter“ mit dem Hinweis auf die neue Adresse. Bis die Buchhandlung wieder in die Räume ziehen kann, werden Monate vergehen. Die gute Nachricht ist, dass die Substanz des Geschäftshauses nicht angegriffen wurde und der Vermieter die Renovierung vorantreibt – er war gegen das Hochwasser versichert. Doch allein die Trocknungsphase wird drei Monate in Anspruch nehmen. Nicht so gut sieht es für die Buchhandlung in Bad Neuenahr aus. Hier wird vermutlich eine Rückkehr in die alten Räume nicht möglich sein. Doch genaue Prognosen kann zurzeit niemand geben. Manche Geschäftsleute wollen nicht mehr weitermachen oder können sich den Neustart nicht leisten und so wird sich im Ort sehr wahrscheinlich ein neuer Platz finden lassen.

Wie viele der Flutopfer ist Jessica Bälz von der großen Hilfsbereitschaft überwältigt. Sie tut sich jedoch auch schwer, all die Unterstützung anzunehmen, gesteht sie mir. Viele habe es so viel härter getroffen. Ihr Schaden sei durch Versicherungen größtenteils abgedeckt. „Mit Sachspenden kann ich aber gut umgehen“, meint sie zaghaft lächelnd. Schwerer tut sie sich mit den Geldspenden von Buchhandlungen, die extra für sie gesammelt haben. Doch auch dafür hat die tatkräftige Buchhändlerin jetzt eine praktische Lösung gefunden. Fast alle Kindergärten und Schulen standen unter Wasser. Ihnen sollen die Geldspenden in Form von Buchgutscheinen zugutekommen – wenn dann alle wieder ein Obdach gefunden haben.

Sibylle Heyn (Libri Vertrieb), Buchhändlerin Jessica Bälz und Robert Duchstein, Geschäftsführer Reuffel in der Pop-up-Buchhandlung

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1 Kommentar


  • Korb, Ralf

    Toll das Ihr den Betroffenen unter die Arme greift und auch in der Buchhändlerfamilie Solidarität groß geschrieben wird. Das lesende Publikum wird auch zurück kommen. Gerade , wenn es im Pop up Store gemütlich ist.


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